38 TIPPS Das Stadtgespräch JOHANN BAUER »Onkel Amerika« Wenn wir in Westfalen vom Alpenvorland hören, dann denken wir an sanft geschwungene Hügel, auf denen glückliche Kühe im Takt der Kuhglocken das sattgrüne Gras verspeisen. Genau so ist die Stadt, die den Schauplatz von Johann Bauers Roman »Onkel Amerika« bildet, eben nicht. Vielmehr ist die kleine Stadt nahe der Alpen eine Bergarbeiterstadt, die direkt nach dem Zweiten Weltkrieg an Tristesse kaum zu überbieten ist. Alle leiden an der dörflichen Enge, die keine Perspektive zu eröffnen scheint. Sogar der Ich-Erzähler, aus dessen Kinder- und Jugendperspektive der Roman erzählt wird, sehnt sich nach etwas anderem, nach der großen weiten Welt. Und genau die scheint mit den Amerikanern in das Örtchen einzuziehen. Nicht nur die lässige Art der Amis und deren Überfluss an Gütern, die es im frühen Nachkriegsdeutschland nicht gibt, lassen Amerika zu dem Sehnsuchtsland schlechthin werden. Gelegentlich schafft es auch einer ins Land der unbegrenzten Möglichkeiten auszuwandern. Einer, wie der Onkel des Jungen, der vor zehn Jahren spurlos in die USA verschwunden ist und der es dort natürlich zu Reichtum und Glück gebracht hat; davon gehen alle aus. Und auf einmal ist er wieder da, standesgemäß mit chromblitzenden Achtzylinder-Amischlitten, versteht sich. Auch die amerikanische Lebensweise strahlt er aus. Schnell werden »Onkel Amerika« und sein Kumpel, der Samstagsboxer Carnera-Schorsch, für die Jugendlichen im Kaff zu den Helden ihres Universums. Zumal es auch mit der Langeweile vorbei ist, gibt es doch beinahe wöchentlich einen neuen Skandal. Der Neffe ist sich zudem sicher, dass sein Onkel auch so etwas ist wie seine Comic-Helden, die heimlich den Schwachen helfen und die Bösen bestrafen. So wie den Vater aus dem Dorf, der seine Töchter missbraucht. Und selbst der Volksschullehrer bekommt nach einem Klassentreffen sein Fett weg. Doch anders als bei den Comic Helden bröckelt nach und nach die Fassade von Onkel Amerika, der keine große Lust verspürt, in seine neue Heimat zurückzukehren, schon gar nicht mit dem Neffen im Schlepptau. Konsequent aus der Perspektive des Jungen und mit feinem Gespür für die Atmosphäre des Ortes erzählt Johann Bauer (Jahrgang 1943) in seinem Roman- Debüt seine Geschichte. Die ist umso lesenswerter, als dass sie aus einer Zeit berichtet, die niemand selbst erlebt hat, der nicht mindestens Mitte 70 ist. Erschienen bei beim MaroVerlag, 272 Seiten, 20 €. AGNES LOVISE MATRE »Das Schweigen des Fjords« Um es gleich vorweg zu nehmen: Nicht das Schweigen des Fjords ist das Problem in diesem Roman, sondern das Schweigen der Leute. Denn anders als es die landschaftliche Idylle am Rand des tiefen Gewässers vermuten lässt, kümmern sich die wenigen Bewohner von Skipdalen eben nicht umeinander. Und Leute, um die man sicher kümmern müsste, gibt es auch hier. Da ist zum Beispiel Kjartan, der Säufer, der keineswegs Gefahr läuft, Vater des Jahres zu werden. Vielmehr terrorisiert er seine beiden Kinder, misshandelt sie regelrecht. Und dann ist plötzlich nach einer durchzechten Nacht des Vaters dessen sechsjähriger Sohn Anders verschwunden. Und Bengt Alvasaker ist der Nachbar, der den Jungen zuletzt gesehen hat, als Anders allein im Schlafanzug unterwegs war. Bengt macht sich später massive Vorwürfe, denn er ist nicht nur ein wenig aufmerksamer Nachbar, sondern auch der Polizeichef des kleinen Ortes. Er selbst ist jedenfalls im Stress, muss er sich doch plötzlich um seinen Sohn kümmern, von dem er lediglich ein Babyfoto kennt. Als der kleine Anders spurlos verschwindet, wartet Bengt nicht die entsprechende Frist ab und vermittelt seiner Umwelt auch nicht das Gefühl, dass alles wieder gut wird, wie es das Polizeiprotokoll vorsieht. Denn hinter der Fassade des kleinen Ortes verbergen sich Geheimnisse. Auch ist unklar, was zum Beispiel mit der Mutter des kleinen Anders passiert ist – die angeblich nichts mehr von den Kindern wissen will – ihrer Tochter Ina, die nur unwesentlich älter als Anders ist, jedoch heimlich eine Nachricht zukommen lässt. Und da ist auch noch ein alter ungelöster Fall, ein rätselhaftes Verschwinden, das niemals geklärt wurde. Doch alle Spuren, denen Bengt nachgeht, führen zunächst ins Nichts. Bis die Schlafanzughose Bengts gefunden wird, die fein säuberlich gefaltet am Strand gefunden wird. Erschienen ist der Roman von Agnes Lovise Matre bei Knaur, 415 Seiten, 9,99 €. Bleibt nur zu hoffen, dass »Das Schweigen des Fjords« nicht der einzige Krimi bleibt, der von der Autorin auf Deutsch erscheint. 140 Über Jahre ----------------------- ----------------------- ------------ ------------ Kleine westfälische Leckereien 27.11.2019 - 12.02.2020 Jeden Mittwoch Talertage Voranmeldung erwünscht!
TIPPS 39
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