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Das Stadtgespräch Juni 2016

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Magazin für Rheda-Wiedenbrück

42 Das

42 Das Stadtgespräch SCHÜTZT UND LÄHMT Angst Die Bahnunterführung an der Pixeler Straße Das Leben ist schön – nur nicht, wenn man Angst hat. Dieses drückende Gefühl, das sich von der Magengrube immer weiter nach oben zieht und das Herz einzuschnüren droht und einem den Atem nimmt. Dieses Gefühl steigt auch in Rheda-Wiedenbrück bei vielen Menschen in ganz unterschiedlichen Situationen auf. Klassisch ist das Angstgefühl nachts. Wenn man einen dunklen Tunnel durchqueren muss oder auf einem leeren Bahnsteig oder an einer Bushaltestelle steht und plötzlich ein Unbekannter auf uns zukommt. Angst kommt auf, wenn man im Dunkeln auf einem Parkplatz zu seinem Auto geht. Oder – wenn eine Gruppe lauter Männer auf einen zukommt... Die Angst geht offenbar auch bei offiziellen Stellen um. Inzwischen wird das Geschehen an vielen öffentlichen Plätzen von Videokameras überwacht. Kameras haben das Geschehen im Fokus am Stadthaus, in den beiden Freibädern oder am Hauptbahnhof. Dazu kommen zahlreiche Videoaugen auf privaten Firmengeländen, an Haustüren und in Gärten. Rheda- Wiedenbrück rüstet auf, weil eine gefühlte Bedrohung existiert. Gewaltkriminalität Pro Monat wird die Polizei in Rheda-Wiedenbrück zu durchschnittlich sieben Gewaltdelikten gerufen. Dabei sind auch Schreckschusswaffen im Spiel. Die Zahl ist seit Jahren relativ konstant. Im letzten Jahr wurden von 87 Gewalttaten 69 aufgeklärt. Ein Jahr zuvor konnte die Polizei von 87 Tätern 72 ermitteln. Die Zahlen sind nicht hoch, dennoch steigt die Furcht. Angst ist an sich lebenswichtig, auch wenn sie sich nicht gut anfühlt. Sie ist notwendig, um in Gefahrensituationen die Sinne zu schärfen und das richtige, rettende Verhalten zu ermöglichen und zum Beispiel zu flüchten. Angst schützt uns aber auch davor, das Falsche zu tun: Nicht mit zu hohem Tempo Auto zu fahren oder auf eine wacklige Leiter zu steigen. Immer mehr Waffen In Rheda-Wiedenbrück und auch in den anderen Städten des Kreises Gütersloh ist seit einigen Monaten etwas anders. Viele Bewohner fühlen sich offenbar nicht sicher und rüsten auf. Dazu haben vermutlich auch die Ereignisse und Berichte über die Übergriffe auf Frauen in der Silvesternacht am Kölner Hauptbahnhof beigetragen. Denn: Immer mehr Menschen haben Waffen in der Tasche, um sich zu schützen. Dafür braucht man seit 2003 den so genannten »kleinen Waffenschein«. Seit Jahresbeginn ist die Zahl der Anträge dafür drastisch gestiegen. Er berechtigt dazu, Schreckschusspistolen sowie Reizund Signalwaffen in der Öffentlichkeit mitzuführen und ohne zu Hause aufzubewahren. In Deutschland dürfen Volljährige solche Waffen erwerben, wenn die das Siegel der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt (PTB) tragen. Die Polizei hat im Kreis Gütersloh allein in diesem Jahr 659 kleine Waffenscheine ausgestellt, so viele wie sonst in mehreren Jahren zusammen. Mit den aktuellen »kleinen Waffenscheinen« dürfen sich inzwischen 1.880 Personen »bewaffnen«. Also ein Drittel dieser Scheine wurde erst in den vergangenen fünf Monaten beantragt und genehmigt! Kleiner Waffenschein Der »kleine Waffenschein« ist kein Freibrief zum Mitnehmen der Waffen. Bei öffentlichen Veranstaltungen, Volksfesten, Sportveranstaltungen, Märkten, Messen, Ausstellungen oder in der Disco müssen die Waffen zuhause bleiben. Einsetzen darf man sie nur in einer echten Notwehrsituation! Übrigens: Wer keinen kleinen Waffenschein hat und dennoch zum Beispiel eine Schreckschuss- oder Signalpistole bei sich hat, macht sich strafbar. Wird man erwischt, können bis zu 3 Jahre Haft oder eine Geldstrafe fällig werden. Die Waffen müssen auch sicher vor Diebstahl oder dem Zugriff von Kindern und Jugendlichen aufbewahrt werden. Nicht selten gelangen Schreckschusswaffen in die Hände von Jugendlichen, wie kürzlich in Rheda-Wiedenbrück. Wer bekommt den kleinen Waffenschein Jeder Erwachsene kann einen »kleinen Waffenschein« bei der Polizei beantragen. Auf dem Formular muss man zum Beispiel die Frage beantworten, ob man Mitglied einer verfassungswidrigen Partei ist. Auch wer vorbestraft ist, bekommt den Schein nicht. Echte Waffen im Umlauf Neben den Signal- und Schreckschusswaffen gibt es im Kreis Gütersloh eine große Zahl tödlicher Waffen. 3.800 Besitzer von erlaubnispflichtigen Gewehren, Pistolen und Revolvern sind bei der Polizei

43 registriert. Dazu gehören neben Polizisten die Jäger und Sportschützen. Sie besitzen häufig mehrere Waffen. Die Polizei hat Kenntnis von 21.000 Waffen im Kreis. Zahlen für Rheda-Wiedenbrück kann die Polizei nicht nennen. Wie groß die Zahl der illegalen Waffen ist, kann man nur mutmaßen. Es kursieren noch Waffen aus Beständen der DDR-Armee, illegale Importe und Relikte der Wehrmacht aus dem 2. Weltkrieg. Risiken Ob eine Schreckschusswaffe oder ein Reizgassprühgerät im Ernstfall tatsächlich helfen kann, ist fragwürdig. Wird man tatsächlich bedroht, bieten diese Waffen häufig nur scheinbar Sicherheit, denn der oder die Angegriffene reagiert aufgrund der Ausnahmesituation nicht so cool und professionell wie trainierte Polizisten. Durch eine Waffe kann die Lage eskalieren, so dass der Angreifer sich womöglich zu noch größerer Brutalität hinreißen lässt. Oder er zieht selbst eine Waffe oder entwaffnet das Opfer und kommt so in eine noch stärkere Position. Beim Reizgas besteht die Gefahr, dass man das Gas durch eine ungünstige Windrichtung gegen sich selbst richtet, und so das Opfer statt der Täter außer Gefecht gesetzt wird. Selbstverteidigung ohne Waffen Dass man sich auch ohne Waffen aus brenzligen Situationen befreien kann, bringt Michaela Wagner Mädchen und Jugendlichen bei. In Rheda-Wiedenbrück veranstaltet sie seit fast 25 Jahren Kurse und Seminare. In den vergangenen Monaten hat sie einen Nachfrageboom erlebt: »Gerade in den acht Wochen nach den Ereignissen am Kölner Hauptbahnhof ist die Zahl der Anmeldungen deutlich gestiegen«, sagt die Kampfsportlerin. Sie arbeitet mit der Gleichstellungsstelle der Stadt und Schulen zusammen und trainiert Mädchen in Schulkassen und Turnhallen. Michaela Wagner war 1991 Deutsche Meisterin im Tae-Kwon-Do und weiß, wie Mädchen sich wehren können. Sie sensibilisiert sie für unangenehme und gefährliche Situationen. In den Kursen lernen die Kids dann ihre eigenen Stärken kennen. Die Trainerin hat eine eigene Technik entwickelt, die spontan anwendbar ist und ohne jahrelanges Training erlernt werden kann. Ihre Selbstbehauptungskurse kommen an. Sie gibt neben Rheda-Wiedenbrück auch Kurse auch in Verl, Versmold, Rietberg und Herzebrock-Clarholz. Dort finden die nächsten Kurse für Mädchen in der Bolandschule statt. In Rheda-Wiedenbrück gibt es den nächsten Kurs im September in der Grundschule Eichendorf. Übersicht Kurstermine: Während in die Selbstbehauptungskurse sehr viele Mädchen kommen, sind Frauen und weibliche Teenager wenig zu sehen. Das findet Michaela Wagner sehr schade: »Eine Sensibilisierung würden ihnen gut tun«, schätzt die erfahrene Selbstverteidigerin. »Um Angst abzubauen, ist es gut, seine Stärken zu kennen. Mit mehr Selbstbewusstsein können viele Situationen geklärt werden, bevor es brenzlig wird«. Es müssen also in Rheda-Wiedenbrück nicht zwangsläufig Waffen sein, die helfen, sich sicherer zu fühlen. Auch ein deutliches Wort an passender Stelle oder der laute Ruf um Hilfe kann deeskalierend wirken. Hilfreich ist es, vorbeilaufende Menschen direkt anzusprechen: »Hallo, Sie mit dem blauen Hemd, helfen Sie mir!« Das holt unbeteiligte Passanten aus der Anonymität und kann Angreifer verschrecken. Angst ist im Übrigen ein Gefühl, das jeder mehr oder weniger stark empfindet. Der eingangs beschriebene dunkle Tunnel macht eher Frauen Angst. Eine wacklige Leiter ist für Sportler kein Problem, verunsichert aber ältere Menschen. Die Furcht ist also ein sehr relatives Phänomen, manchmal sogar angemessen und hilfreich! Angst schützt, ist aber zum Glück nicht immer begründet. www.selbstverteidigung-wagner. de/termine_kontakt_impressum. htm Antrag kleiner Waffenschein: https://www.polizei-nrw.de/ media/Dokumente/Behoerden/ Guetersloh/neu_-_4_N_Antrag_ kleiner_Waffenschein.pdf

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