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Das Stadtgespräch Dezember 2016

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46 portraitserie

46 portraitserie Das Stadtgespräch Karl-Heinz Essig Von Angesicht zu Angesicht Eine Portrait-Serie mit Menschen in Rheda und Wiedenbrück Karl-Heinz Essig Geboren: 1935 Beruf: Künstler und Innenarchitekt Foto: am 20.10.2016 im Haus des Künstlers in St. Vit Andreas Kirschner: Sie haben in Kiel studiert und bis 1972 in Hamburg gearbeitet. Was treibt einen Innenarchitekten aus dem weltoffenen Hamburg zurück in die westfälische Provinz? Karl-Heinz Essig: Der Verkehr (lacht). Der Verkehr und die Alster. Ich habe in einem Büro direkt am Dammtor gearbeitet. Wenn es eine Baustelle gab, dann war es eine Katastrophe, mit dem Auto morgens zur Firma zu fahren. Das Umfeld war schon interessanter in Hamburg, aber wenn man wie ich allein von Kiel nach Hamburg kam, dann war man ganz schön einsam. Außerdem wird man mit den Jahren etwas ruhiger. Heute bin ich froh, nicht mehr in Hamburg zu sein. Andreas Kirschner: Was ist Heimat? Karl-Heinz Essig: Ich bin in Wiedenbrück geboren. Der Begriff Heimat hat mir nie allzu viel bedeutet. Ich bin rein zufällig wieder hier gelandet. Ich hatte schon als Möbeldesigner gearbeitet, als ich auf dem Rückweg von einem Auftraggeber in Süddeutschland bei meiner Frau in Hamburg anrief. Sie machte mich auf ein Stellenangebot von Musterring in der Wochenzeitung »Die Zeit« aufmerksam. Ich habe noch von unterwegs angerufen. Man war dort sehr verlegen, weil man dringend einen Entwerfer suchte: »Bitte kommen Sie sofort«. Und dann habe ich einen Monat im Hotel Reuter gewohnt und die gute Küche und die Leute kennen gelernt. Ich habe es fünf Jahre ausgehalten bei Musterring und dann war bei mir Ende. Dann wollte ich nicht mehr, auf Deutsch gesagt (lacht). Danach habe ich mich selbstständig gemacht. Erst als Designer und nach ein paar Jahren habe ich nur noch gemalt. Ich habe früh angefangen zu malen und es im Grunde genommen nie aufgegeben. Andreas Kirschner: Sie haben aber Innenarchitektur studiert? Karl-Heinz Essig: Ja, denn in den Kursen Malerei und Freie Graphik an der Werkkunstschule Kiel war kein Platz frei. Weil ich schon eine abgeschlossene Tischlerlehre Fotos: Andreas Kirschner Von Andreas Kirschner hatte, hat man mir geraten, das Studium der Innenarchitektur zu absolvieren. Da mein Vater früh gestorben ist, ich war zehn Jahre alt, war das Geld knapp und ich habe eine Lehre gemacht und bin dann zur Bundeswehr gegangen. Andreas Kirschner: Wann entlockt die Stadt Rheda-Wiedenbrück bzw. St. Vit Ihnen Glücksmomente? Karl-Heinz Essig: Immer dann, wenn etwas mit der Malerei zu tun hat. Wenn ich z. B. ausstellen kann oder auch durch die Beziehung zum Haus Repke. Andreas Kirschner: Macht malen glücklich oder ist es nur Ausdruck eines Gefühlszustands? Karl-Heinz Essig: Ja, beides; bei mir überwiegt mehr das Gefühl beim Malen. Was ich empfinde in dem Moment. Je nachdem, ob es gelingt und ob ich das Gefühl habe, etwas Gutes gemacht zu haben. Ich kann aber nicht so genau unterscheiden, ob das Glück, Zufriedenheit oder einfach nur Bestätigung ist. Andreas Kirschner: Fließt das Gefühl direkt in das Gemälde mit ein? Karl-Heinz Essig: In der Regel ja. Das kann ich gar nicht ausschließen. Andreas Kirschner: Haben Sie vorher einen Plan im Kopf, was Sie malen wollen? Karl-Heinz Essig: Nein, nicht unbedingt. Eigentlich male ich alles intuitiv. Deswegen sind meine Bilder alle unterschiedlich. Ich bewundere immer, aber nicht im positiven Sinne, die Maler, die eine Richtung durchziehen. Diese Maler kommen nicht über ihren eigenen Bildhorizont hinaus. Die malen gleiche Farben, gleiche Elemente, gleiche Darstellungen, und, und, und. Andreas Kirschner: Hat die klassische Moderne sie beeinflusst? Karl-Heinz Essig: (leise raunend) Ja, sicher. Am meisten habe ich immer Picasso bewundert. Picasso und die großen Impressionisten. Vor allen Dingen Picassos späte Zeichnungen, die haben mich schon ganz schön gefesselt, wenn die mir über den Weg liefen. Andreas Kirschner: Was tragen Sie in den Hosentaschen? Karl-Heinz Essig: Kein Taschenmesser. Tempotaschentücher, einen Autoschlüssel, einen Bleistift und einen Kugelschreiber und einen kleinen Schmierblock habe ich immer dabei. Und ein Portemonnaie, ohne viel Geld (lacht). Andreas Kirschner: Was ist ihre stille Leidenschaft? Karl-Heinz Essig: (lacht höchst amüsiert) Ultramarinblau. Andreas Kirschner: Von welcher Musik fühlen sie sich tief berührt? Karl-Heinz Essig: Die großen klassischen Komponisten: Schumann, Schubert, Brahms und natürlich unseren großen Düsseldorfer Meister, Beethoven. Violinkonzerte, Klavierkonzerte. Andreas Kirschner: Wie gehen Sie vor, wenn sie eine leere Leinwand vor sich haben? Karl-Heinz Essig: Ich grundiere erst einmal die Leinwand mit Spachtelmasse und in der Regel gucke ich mir das erst einmal eine gewisse Zeit an. Manchmal schaue ich gar nicht hin, wenn ich anfange. Dann mache ich einfach irgendwas (lacht) und wenn es nur ein paar Striche oder eine mit dem Pinsel

portraitserie 47 aufgetragene Form ist. Meistens so, dass das Gefühl so weit mitspricht, dass man erkennen kann, ich jedenfalls, woran ich gedacht habe. Angst vor der weißen Leinwand habe ich noch nie gehabt. Andreas Kirschner: Und dann geht es in einem Zug weiter bis zum Ende? Karl-Heinz Essig: Nein, früher war das so, aber heute schlafe ich meistens eine Nacht drüber. Am Morgen schaue ich als erstes nach dem Bild und sehe, wo es fehlt, ob die Farben in Ordnung sind und was anders werden muss. Andreas Kirschner: Was ist eine Augenblume? Karl-Heinz Essig: Eine Augenblume ist eine sehende Blume. Anfangs habe ich das Auge gemalt, weil mich das Auge fasziniert. Das ist eine gewisse Faszination, die die Leute dazu bringen soll, hinzuschauen. Daran, dass ich immer wieder danach gefragt werde, sehe ich, dass es klappt. Andreas Kirschner: Wenn ich jetzt eine Fee reinbitte und sie hätten einen Wunsch frei, welcher wäre das? Karl-Heinz Essig: Ja, dass ich noch ein bisschen länger malen kann und dass ich wieder richtig auf die Beine komme. Das ärgert mich schon manchmal, dass es überall ziept und zwackt. Andreas Kirschner: Was raten Sie jungen Menschen? Karl-Heinz Essig: Dass sie sich mehr für Bilder interessieren. Dass sie besser hingucken und wahrnehmen, was sie sehen und sich weniger ablenken lassen. Handy, Computer und dieser ganze Mist, das habe ich alles nicht. Andreas Kirschner: Der englische Maler David Hockney malt sehr viel direkt auf dem iPad. Für ihn ist das ein alternatives Medium. Karl-Heinz Essig: Na ja, wenn er damit glücklich ist? Jedem seine Freiheit, nicht wahr? Andreas Kirschner: Wo ist das Paradies? Karl-Heinz Essig in seinem Ateliersessel, dem Ort der Bildbetrachtung in Reflektion Karl-Heinz Essig: Ich vermute mal, dass es auf der Erde ist. An bestimmten Stellen jedenfalls noch. Andreas Kirschner: Haben Sie es schon gefunden? Karl-Heinz Essig: Stellenweise, aber paradiesisch ist vielleicht übertrieben. Andreas Kirschner: Gibt es das Paradies in Ihren Bildern? Karl-Heinz Essig: Nicht unbedingt, nein. Aber der eine oder andere sieht vielleicht mehr in meinen Bildern. Es gibt Menschen, die sagen, sie seien infiziert von meinen Bildern. Es gibt ein paar, die können jedes Bild von mir sehen und fallen in Ohnmacht (muss über sich selbst lachen). Wenn ich so zurück denke, als das angefangen hat, da war das nicht so. Da war ich auch nicht so bekannt. Es wäre ja nicht verkehrt, wenn man in meinen Bildern das Paradies finden kann.

Das Stadtgespräch - Magazin für Rheda - Wiedenbrück

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