50 TIPPS Das Stadtgespräch MONIKA BITTL Das Fossil Eigentlich müsste jedes Buch so sein wie Das Fossil von Monika Bittl. Was ich mit »so sein« meine? Na, jedes Buch sollte so sein, dass sich der Leser auf jede Minute freut, in der er wieder Zeit hat zum Weiterlesen. Genau das ist natürlich, was Verlage suchen: das Rezept für das richtige Buch für den richtigen Leser. Aber lassen wir das philosophieren und sehen uns an, worum es in dem fünften Roman der Autorin geht, die vor gut 50 Jahren in einem kleinen Dorf im Altmühltal geboren wurde und dort auch aufwuchs. Der Roman handelt von einem furchtbar alten Vogel und der Geschichte einer Familie vom 19. bis zum Ende des 20. Jahrhunderts. Der Vogel, oder besser gesagt dessen Abdruck in Schiefer, ist der sogenannte Archaeopteryx, rund 150 Millionen Jahre alt. Der ist genau genommen gar kein Vogel, sondern gilt als Übergangsform zwischen den theropoden Dinosauriern, also den meist fleischfressenden Zweibeiner, und den Vögeln. Die Entdeckung dieser Übergangsform wurde im 19. Jahrhundert als die Entdeckung des »missing link«, also als Auffinden des Verbindungsstücks angesehen, mit dem man Darwins Theorie von der Evolution der Arten beweisen konnte. Heute längst allgemein akzeptierte Erkenntnis der Wissenschaft, wir sehen mal von den paar religiösen Fundamentalisten ab, brachte Darwins Theorie im 19. Jahrhundert für weite Kreise geradezu die Weltordnung ins Wanken. Hier nun ist die Geschichte der Familie aus dem bayerischen Dorf Wolkertsheim angesiedelt. Die Leute haben kein Geld, Vater und Bruder schuften für einen Hungerlohn im Steinbruch. Dort werden immer wieder Fossilien gefunden, die der Landarzt versucht, zu Geld zu machen. Die siebzehnjährige Tochter der Familie, Babette, kommt zuerst mit dem Abdruck des Archaeopteryx in Kontakt, fertigt sie doch Zeichnungen der Entdeckung für den Doktor an. Auf überraschende Art und Weise gerät einer der beiden Schieferabdrücke in ihren Besitz – das zweite Fossil ist übrigens eine geniale Erfindung der Autorin, der erste befindet sich, ganz wie es der Roman erwähnt, noch heute im National History Museum in London. Doch das Fossil bringt kein Glück, wie Babette für sich feststellt. Sie vergräbt es im Gemüsegarten hinter dem Haus der Eltern. Erst Jahre später holt sie sich die Tafel wieder hervor, damit sie ihrem Sohn die Ausbildung finanzieren kann, denn längst ist klar, dass der Archaeopteryx ein Vermögen wert ist. Doch auch Sohn Paul hat mächtig Pech und er muss feststellen, dass man Fehler nicht einfach mit Geld wieder wett machen kann. Pauls Tochter Gerti, die Großmutter Babette nicht unähnlich ist, scheint mit dem Schicksal versöhnt. Liegt es daran, dass sie nicht versucht, Profit aus dem Fossil zu schlagen? Oder weil geben tatsächlich seliger denn nehmen ist? Sie ist die Erste der Familie, die die wichtigen Entscheidungen im Leben nicht dem Zufall und damit dem Schicksal überlässt. Vor dem Hintergrund der Geschichte, vor allem der Geschichte, wie sie sich in einem kleinen Dorf darstellt, fesselt der Roman durch die Familiengeschichte, bei der man stets das Gefühl hat, dass die Autorin sehr genau weiß, wovon sie spricht. Erschienen ist
TIPPS 51 Das Fossil bei Droemer, 333 Seiten, 17,99 Euro. MAI JIA Das verhängnisvolle Talent des Herrn Rong Ein Buch über einen hochbegabten Mathematiker scheint auf dem ersten Blick für die meisten von uns, also all diejenigen, die mit Mathe nicht viel am Hut haben, nicht besonders attraktiv zu sein. Doch da sollte man sich nicht täuschen lassen, denn die Geschichte des Herrn Rong ist ausgesprochen originell. Es geht nämlich ganz und gar nicht um die reine Lehre der höheren Mathematik, der Roman handelt vielmehr von dem chinesischen Pendant zum englischen Bletchley Park, wo die U-Boot Codes der deutschen Kriegsmarine im Zweiten Weltkrieg entschlüsselt wurden. Alles beginnt Ende des 19. Jahrhunderts mit Großmutter Rong. Um die Kunst der Traumdeutung zu erlernen, schickt die Matriarchin ihren Enkel ins Ausland – und dieser kommt als moderner Mann wieder. Aus der Salzhändlerdynastie Rong wird eine Familie von Mathematikern, in die einige Generationen später Jinzhen hineingeboren wird. Der Junge mit dem übergroßen Kopf ist von einer fast mythischen Aura umgeben, denn er versteht die Welt der Zahlen wie kein anderer. Mitte der 50er-Jahre gelingt es ihm, für den chinesischen Geheimdienst einen als undechiffrierbar geltenden Code zu brechen, und er wird als Nationalheld gefeiert. Doch dann taucht ein noch schwierigerer Code auf und droht, ihn in den Abgrund zu ziehen. Die Geschichte ist ungewöhnlich und faszinierend. Der Leser, zumindest der nicht chinesische, taucht in die völlig andere Welt Chinas ein, das ständig zwischen Fortschrittsglaube und Aberglaube zu pendeln scheint. Einziger Kritikpunkt: Der Roman sollte auf Seite 259 zu Ende sein, danach kommen fast 90 Seiten über die Recherche, die Aussagen der Befragten, die aber alle schon in die Geschichte eingeflossen sind, sodass der Leser nichts Neues erfährt. Auch die Verneblungstaktik des Autors, der alle Namen ändert und die Städte mit Buchstaben bezeichnet, ist für den westlichen Leser, der ohnehin niemanden wiedererkennen könnte, völlig unsinnig. Dennoch ist das Buch ein echter Fang. Erschienen bei DVA, 350 Seiten, 19,99 Euro. DANIEL HOLBE DANIEL HOLBE Schwarzer Mann Der Weg zum Bestseller-Autor scheint meistens nicht unbedingt gradlinig zu verlaufen. Daniel Holbe ist da keine Ausnahme. Seinen beruflichen Weg beschreibt er in eigenen Worten so: »Ich verdingte mich als Kälte- und Klimafachmann, jobbte in einer Videothek, später dann studierte ich Sozialpädagogik und Sozialarbeit, parallel dazu arbeitete ich viele Jahre in diesem Bereich. Immer am Puls der Menschen, immer dort, wo Abgründe und Schicksale aufeinandertreffen.« Aber der Wunsch, einmal ein eigenes Buch zu schreiben, blieb bestehen. Inspiriert von Dan Brown, veröffentlichte Holbe mit Die Petrus-
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