A Als seine Seele zu sprechen begann Nach 80 Jahren kehrte Friedhelm Sommer zur Spurensuche nach Rheda zurück 1 Bei der Spurensuche in den Altstadtgassen traf Friedhelm Sommer auf Hermann Heller-Jordan, der als Kind öfter bei seiner Tante war. Der Altstädter konnte sich an Friedhelm Sommer im Haus gegenüber erinnern. Foto: Koch Als Friedhelm Sommer auf seine Mutter zu sprechen kam, versagte seine Stimme. Die furchtbaren Ereignisse um ihren Tod am 1. September 1943 berühren den 85-Jährigen bis auf den heutigen Tag. Wie oft hatte er als Kind gebetet: »Liebe Mutter, fall vom Himmel, komm zurück«. Auch jetzt brachen die alten Narben wieder auf. Der Vorsitzende des Heimatvereins Rheda, Prof. Dr. Ernst Albien musste für einen Moment das Wort für den Ehrengast auf der von rund 50 Personen besuchten Gemeinschaftsveranstaltung mit der Bürgerinitiative Altstadt übernehmen. Die beiden Vereine hatten den in Rheda aufgewachsenen Friedhelm Sommer zu einer Lesung aus seinem gerade erschienenen Buch »Gefärbte Wege – Erinnerungen« eingeladen. Mutter Erst vor einigen Jahren hatte er aus ihren Krankenakten Näheres zum Tod seiner Mutter Hilda Sommer erfahren. Sie war Mitte Juli 1943 in die »Bodelschwingh’schen Anstalten« in Bethel bei Bielefeld gekommen, berichtete Friedhelm Sommer auf der Lesung. Das Ergebnis seiner Recherchen um den Tod seiner Mutter: »Die Nazis haben sie, die in ihrer Verzweiflung die Bettwäsche zerrissen hat, umgebracht. Es wurde nie offen darüber gesprochen – weder von meiner Tante noch von meinem Vater. Wer weiß, wie viel sie wussten?« Während des Krieges waren viele Frauen mit ihren Kindern allein, so auch Sommers Mutter. Sie hatte wohl schon vor der Einweisung unter starken Stimmungsschwankungen gelitten. Aber nach der Geburt seines Bruders Reinhold wurden die depressiven Phasen häufiger. Auf Anraten ihres Arztes bekam sie eine Überweisung in die bekannte psychiatrische Klinik. Im Arztbericht steht u. a.: »Am Anfang des Aufenthaltes bestanden leichte depressive Störungen, die jedoch etwa am 14.8.1943 in schwere Erregungszustände und in symptomatische Färbung umschlugen. Ab dann bekam sie jeden dritten Tag Elektroschocks«. Und als Todesursache: »Symptomatisch gefärbte Psychose, Pneumonie«. Fragen Friedhelm Sommer fragt in seinen Lebenserinnerungen: »Stirbt man innerhalb von sechs Wochen so einfach an einer Psychose? Kann man durch die Elektroschocks eine tödlich verlaufende Lungenentzündung bekommen? Das Wort ›Pneumonie‹ ist nachträglich als Todesursache hinzugesetzt worden«. Seine Mutter war zwar arischer Abstammung, aber nach der NS- Ideologie hieß die Formel für alles, was schwach, behindert und nicht heilbar war: »Ausmerzen!« Es sollte ein gesundes arisches Volk entstehen. Zwei kleine Worte sind am Rand der Sterbeurkunde seiner Mutter notiert: »Nicht erbkrank«. Ohne diese Notiz wären Friedhelm Sommer und sein Bruder Reinhold vermutlich auch gefährdet gewesen. Im Frankfurter Prozess von 1962 gestand der behandelnde Arzt, Dr. Kurt Born, an dem Mord von etwa 1000 »geisterkranken« Menschen beteiligt gewesen zu sein. Es sei gemäß den Gesetzen von 1941 erlaubt gewesen. Seine Verteidiger: »Er konnte die Rechtswidrigkeit nicht erkennen, denn seit seiner Geburt im Beamten-Elternhaus hatte er nur vom Gedankengut der Nationalsozialisten und von Gehorsam gegenüber dem Staat gehört…« Stolperstein Friedhelm Sommer äußert im Nachwort seines Buches den Wunsch, die Stolperstein-Initiative Bielefeld möge für seine Mutter einen kleinen Gedenkplatz einrichten, einen Stolperstein auf dem Gehweg vor dem Elternhaus in Rheda am Großen Wall 27, früher Rosenstraße 3, verlegen. Die Trauer 16 Das Stadtgespräch
schlugen uns die Lehrer und zu Hause schlug mich mein Vater«, blickt er auf die »autoritäre Erziehung ohne Duldung einer Widerrede« zurück. Unternehmer Aus den kleinen familiären sozialen Verhältnissen und der schwierigen Kindheit und Jugend arbeitete sich Friedhelm Sommer hoch zu einem erfolgreichen und wohlhabenden Unternehmer, dem »Pionier des Versandhandels im Maschinenbau«. Er ist der Gründer mehrerer Firmen, die heute marktführend sind. Die »oft aus der Not geborenen Auswege verwandelte er zu einem produktiven Einfallsreichtum«, bekennt er in seinen Lebenserinnerungen. Über einhundert Patente zeugen von seinem Erfindungsreichtum – doch wirklich erfolgreich wurde der »Ideensprudler«, wie er auch genannt wurde, durch sein Marketing, kann man seinem Buch entnehmen. Einen Teil des Jahres wohnt er heute mit seiner zweiten Frau, der Neuseeländerin Elisabeth, in deren Heimat, auf einer Farm. Die übrige Zeit verbringt er mit ihr in Deutschland. So hat er gerade ein Häuschen auf Juist erworben. Er möchte dort die Nordseeluft genießen. 1 In dem Haus Großer Wall 27, früher Rosenstraße 3, verlebte Friedhelm Sommer seine Kindheit. Foto: Koch um den Tod seiner Mutter und die verletzte Seele begleiteten sein ganzes Leben. Der Ort des Gedenkens soll »für immer« an seine Mutter erinnern. Heinz Joachim Koch vom Heimatverein Rheda ließ uns gegenüber durchblicken, dass sein Wunsch bis Anfang kommenden Jahres in Erfüllung gehen könnte. Martin Pollklas von der städt. Pressestelle ergänzte auf Nachfrage, dass der Stolperstein am 24. Januar gemeinsam mit einem Stolperstein für eine jüdische Familie verlegt wird. Die Kosten übernimmt die Stadt. Sprechen Zu seinem Lebensabend wollte seine Seele nicht mehr länger schweigen zum Tod seiner Mutter, zu den schwierigen und schönen Momenten seines langen Lebens. So möchte er sein Buch und die Lesung daraus verstanden wissen. Die Zuhörenden folgten aufmerksam den Worten des empathischen und bescheidenen Mannes. Zurückhaltend sprach er von seiner Kindheit: Nach dem Tod seiner Mutter übernahm zunächst deren Schwester in Heepen seine Obhut und die seines jüngeren Bruders Reinhold (heute 81, wohnt in Bamberg). Dann nahm sich »Oma Rheda« des sechsjährigen Friedhelm und Reinhold an. Für alle Bewohnenden gemeinsam gab es dort im Erdgeschoss eine Waschküche und eine Toilette. Im Gewölbekeller lagerten die Kohlen. Einmal in der Woche war Waschtag. Die beiden Brüder besuchten die Lindenschule. Als der von Friedhelm sehnsüchtig erwartete Vater zwei Jahre nach dem Krieg zurückkehrte, übernahm dieser die Erziehung. Aber seine Devise lautete: »Kinder müssen Schläge kriegen«. Folglich habe er wohl »das angeblich Böse aus uns heraus und das Gute in uns hinein prügeln« wollen. »In der Schule Herzen gerührt Die Begegnungen auf der Lesung mit einigen Freunden aus der Kindheit nahm ihm seine anfängliche Zurückhaltung. Gerne signierte er die von ihnen erworbenen Lebenserinnerungen. Sichtlich bewegt tauschte er mit den »alten Weggefährten« die Erinnerungen an die Kindheit, an die Schulzeit und die Lehre bei der Firma Westfalia aus. Ebenfalls beim Gang durch die Altstadtgassen stieß er auf Freunde und aufgeschlossene Personen, mit denen er seinen nostalgischen Blick auf die alte Heimat teilen konnte. Auf der Veranstaltung gab er auch gerne seine Freude an der Musik und dem Cellospiel weiter: Mit dem jungen russischen Geiger Nikolai Leschenko aus Osnabrück rührte er die Herzen im Auditorium. Friedhelm Sommer hatte den Virtuosen spontan über eine Kleinanzeige ausfindig gemacht. Erst vor einigen Jahren hatte der vielseitig begabte Autor das Cellospielen erlernt. Eine große Zahl seiner Buchauflage hat er dem Heimatverein Rheda gespendet. Interessierte können seine Erinnerungen dort erwerben. Raimund Kemper 1 Friedhelm Sommer am Cello und der Geigenvirtuose Nikolai Leschenko rührten die Herzen im Auditorium. GELÄNDER & HANDLÄUFE HANDMADE IN RHEDA IN STAHL & EDELSTAHL Komplettservice: vom Aufmaß bis zur Montage www.protte-kellner.de PROTTE & KELLNER Heinrich-Heineke Str. 5 • Rheda-Wiedenbrück Tel.:4082990• Fax.: 4 082998 Das Stadtgespräch 17
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