W Winter- und Weihnachtszeit um 1900 Eisflächen soweit das Auge reichte (Kem) Für die meisten Menschen ist die Vorbereitungszeit für die große Bescherung am Weihnachtsabend des 24. Dezember mit ihrer Heimlichkeit, Vorfreude und Emsigkeit bis auf den heutigen Tag eine glückliche Zeit. Die Kinder scheinen dann besonders artig zu sein und strengen sich an, keine Dummheiten zu machen. Sie erhoffen sich ja schöne Geschenke vom Christkind, das alles Gute und Schlechte über die kleinen Rangen zu wissen scheint. Ebenfalls die Erwachsenen tun nun besonders geheimnisvoll und wachen mit Argusaugen darüber, dass ihre Kleinen nicht etwa heimlich in irgendwelche Schränke schauen oder gar verbotene Zimmer betreten. Der erste Teil der Erinnerungen an die Weihnachtszeit führt in die Jahre um 1900. Winter an der Ems »Um diese Jahreszeit war der Eidthagen beiderseits der Ems immer unter Wasser gesetzt und fror auch meistens für eine Woche zu. Das waren dann schöne Tage für Rheda und Umgegend, denn die weite Eisfläche, welche bis Wiedenbrück reichte, lud die Leute ein und wenn sie aus Bielefeld kommen mussten«, schreibt Fürst Adolf zu Bentheim-Tecklenburg (1889-1967) in seinen Jugenderinnerungen. Sie erschienen 1975 im Selbstverlag des Fürstenhauses. Es heißt dort weiter: »Man sah unwahrscheinliche Gestalten auf Schlittschuhen. Herr Kaiser verschmähte es keineswegs, seine einfache Kunst zu produzieren; er lief im langen Mantel mit dem typischen schwarzen Hut auf daher, als habe er einen Ladestock verschluckt. Aber auch die Gesellschaft war auf dem Eis. Man sah die jungen Damen Grimm, die sehr hübschen Poppenburgmädchen, die ältlichen Fräulein Niemann — damals waren sie wohl noch leidlich jung, es merkte nur niemand — und die junge Herrenwelt, die natürlich ständig gewechselt hat. Es wurden Spiele gemacht und alle beteiligten sich daran. Derweilen fanden erbitterte Kämpfe unter den Rhedaer und Wiedenbrücker Jungens statt, welche unter dem unerklärlichen Feldgeschrei »Püle, Püle!« ausgetragen wurden und zweifellos ihren Ursprung in den verschiedenen Territorien beider Städtchen hatten. 1 Die Nadelstraße im weihnachtlichen Schnee Geschenke für die Mitarbeiter Unvergänglich mit der Weihnachtszeit sind auch meine Fahrten verbunden, welche ich stets zu unternehmen hatte, um die Geschenke meiner Eltern (regierender Fürst Gustav zu Bentheim-Tecklenburg, 1849-1909, und Thekla von Rothenberg, 1862-1941) am Morgen des Heiligabend in die Hände der glücklichen Empfänger zu bringen. Meine Mutter machte sich eine wochenlange Mühe damit, für die Kinder der Angestellten Geschenke zu kaufen, die zu voluminösen Paketen zusammengepackt wurden und die ich dann auszutragen hatte, zuerst mit Lina, später dann allein. Dabei kam ich mir wie ein Weihnachtsengel vor. Zunächst wurden die Männer im Haus aufgesucht, der Koch, die Diener in ihren Familienwohnungen, ebenso die Kutscher. 24 Das Stadtgespräch
Mein Vater gab von der Firma Leweke noch eine Kiste Zigarren dazu und Geld, meine Mutter Spielsachen für die kleineren Kinder oder Kleidung und Wäsche. Bei Schnee, der immer sehnsüchtig erwartet wurde und in jener Zeit wohl auch häufiger war, wurde mit dem roten zweisitzigen Schlitten gefahren, sonst mit dem blauen Wagen. Waren die Angestellten bedacht, ging es hinaus in den Gaukenbrink, wo alljährlich Lohmanns mit ihren vielen Kindern und auch Hesses beschert wurden. Bescherung Und dann war der große Augenblick gekommen. Mein Vater war schon den ganzen Nachmittag mit dem Christkind beschäftigt und nicht sichtbar, die gemütliche Teemahlzeit hatte jeglichen Reiz verloren, ich musste außerdem dauernd »verschwinden« und dabei steigerte sich die Aufregung der Großmama zusehends, die gewöhnlich über die »Hunderttausend Knöpf« schimpfte, welche in letzter Sekunde zu öffnen und zu schließen waren. Von weit her, aus dem Billardzimmer, aus der Kalten Stube, aus dem Eckzimmer tönte dann endlich, endlich das wohlbekannte dünne Stimmchen der Glocke. Seitdem habe ich manches Jahr, mit und ohne eigene Kinder, dieses Glöckchen in Bewegung gesetzt, vom Saal her, vom Balkonzimmer, vom Kaminzimmer neben dem Konzertzimmer, von diesem aus oder auch von meiner Stube. Es blieb die Weihnachtsglocke. Sie klang heimlich und vergnügt, wehmütig in Erinnerung an die Vielen, die sie nun nicht mehr hörten, bezaubernd im Hinblick auf die staunenden Augen der eigenen Kinder. So wie damals hat sie nie mehr geklungen, »0 du fröhliche, o du selige, gnadenbringende Weihnachtszeit«, schreibt der Verfasser, der 1954 gemeinsam mit dem Möbelhersteller Helmut Lübke die Firma COR gründete. Heiligabend in den 1950er Jahren Bis weit in die zweite Hälfte des vorigen Jahrhunderts verlief in den meisten Familien der Heiligabend noch nach der von Generation zu Generation weitergegebenen Tradition: Am 24. Dezember, dem großen Tag, durften die Kinder dann nicht mehr ins Wohnzimmer. Sie mussten in der Küche oder ihren Zimmern bleiben, denn nun bugsierte ihr Vater in der letzten Phase der Weihnachtsvorbereitungen den großen Weihnachtsbaum in die Mitte des Wohnzimmers. Man hörte beide Eltern hin und her laufen, denn nun wurde der Tannenbaum, der meist eine Fichte war, mit Kerzen aus echtem Wachs, Lametta, Kugeln und Glitzerkram geschmückt und für jedes Kind ein Weihnachtsteller mit Süßigkeiten, Nüssen, rotbäckigen Weihnachtsäpfeln und Apfelsinen aufgebaut. Außerdem war Mutti emsig in der Küche damit beschäftigt, um das Weihnachtsessen zuzubereiten: oft eine Rinderzunge, ein Karpfen oder Wiener Würstchen mit Kartoffelsalat. 1 Zwischen Rheda und Wiedenbrück gab es Eisflächen soweit das Auge reichte. Märchenland Wenn es dann dunkel war, nach dem Besuch des Gottesdienstes, waren die Kinder, mit ihren schönsten Sachen herausgeputzt, extrem aufgeregt. Denn nun nahte die Bescherung. Wenn Papa rief, dass er das Christkind gerade empfangen hätte, warteten die Kinder gespannt vor der Wohnzimmertür und beteten, bis sie das Weihnachtsglöckchen hörten und der Vater das Christkind bis zum nächsten Jahr verabschiedete. Dann wurde den Kindern das Wohnzimmer geöffnet. Es war nun wie alle Jahre wieder: Als würden sie in ein herrliches Märchenland treten, denn umweht von Weihnachtsliedern und gemeinsamem Gesang stand dort der immergrüne Hoffnungsbaum als einziges strahlendes Licht im Dunkeln, von Lametta wie mit Schnee beladen, und mit roten, silbernen oder goldenen Kugeln geschmückt. Dieser wunderbare Anblick wurde unterstützt durch den herben Duft des frischen Nadelbaums und die verführerischen Gerüche von der Weihnachtsbäckerei, brennenden Kerzen und prallen Navel-Orangen. Dann begannen die Kinder mit leuchtenden Augen die Geschenke auszupacken und auch ihre Geschenke an die Erwachsenen zu verteilen. Weihnachtsglück Bis auf den heutigen Tag, mit seinen vielen neuen Bräuchen, gehören die Weihnachtsfeste zu den schönsten Erinnerungen. Sie geben dem oft mühseligen Alltag menschliche Wärme, Geborgenheit und Hoffnung. Die vorstehenden Darstellungen sollen ein Versuch sein, zurückliegende Jahrzehnte mit ihren Weihnachtsbräuchen wieder lebendig werden zu lassen, welche heute vor allem von den Älteren noch so gekannt sind. & FROHE Weihnachten & EIN GESUNDES NEUES JAHR 2021 Wir wünschen Ihnen besinnliche, frohe und glückliche Weihnachtstage und für das kommende Jahr Zufriedenheit, Frohsinn und Gesundheit. Das Stadtgespräch 25
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