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Das Stadtgespräch April 2018

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Themen der Ausgabe: Bürger- und Vereinemarkt in Wiedenbrück // Rückgang der Kriminalität // Krankenhaus-Notfallaufnahme wird missbraucht // Was Rheda-Wiedenbrücker Autohändler zu den drohenden Dieselfahrverboten sagen // Gastronomische Ausgehtipps // Jetzt tut sich was am Gänsemarkt // und viele weitere

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48 Das Stadtgespräch Für Fotos berührt man sich auch in Asien Typisch deutsch? Ein notwendiger Schritt in der persönlichen Entwicklung ist für uns die Frage nach dem, was wir sind. Das ist vor allem in den Teenager-Jahren interessant, doch die Identitätsfrage ist ja durchaus noch im Erwachsenenalter von Belang. Max Frisch wurde, als er sich dem Rentenalter näherte, vorgeworfen, er sei der ewig Pubertierende. Dabei hatte sich der Erfolgsschriftsteller lediglich auch im reiferen Alter gefragt, was ihn eigentlich ausmacht. Eine in diesem Zusammenhang wichtige Frage war für ihn auch immer, wieviel Schweizer in ihm steckt. Und auch James Joyce hat sich zeitlebens gefragt, was an ihm, der seiner Heimat in Hass-Liebe verbunden war, wohl Irisches sei. Im Folgenden können Sie sich ja einmal selbst befragen, welche der typisch deutschen Angewohnheiten, Eigenarten oder Macken auch die Ihren sind. Das findet sich übrigens am besten heraus, wenn man längere Zeit im Ausland verbringt. Die zweitbeste Möglichkeit ist, dass man den Blick von außen wahrnimmt. Also, los geht’s: FKK Die allermeisten Menschen fremder Nationen finden die Freikörperkultur mindestens befremd- lich. Nackt in der Öffentlichkeit herumzulaufen oder Volleyball zu spielen, käme ihnen nicht in den Sinn. Bei uns gibt es da andere Traditionen. Als ich Kind war, haben wir immer Urlaub an der Ostsee gemacht. Nur wenige hundert Meter neben unserem Strand gab es einen FKK-Strand, zu dem wir gerne mal heimlich geschlichen sind. Sozusagen unter dem Motto Jugend forscht. Was mich damals wie heute verwundert, ja irgendwie fasziniert hat, war, dass die Sonnenanhänger selbst bei klassischen Ostseetemperaturen ihrem Hobby frönten. Wenn also ein eisiger Wind pfiff, wurde die Pudelmütze aufgesetzt. Allerdings war vom Kinn an abwärts textilfreies Schwingen angesagt. Und das, obwohl mir schon im Trainingsanzug (ja, damals hatten wir noch Trainingsanzüge) kalt war. Später dann habe ich es vor allem unter ästhetischen Gesichtspunkten gesehen, denn nicht immer frönen diejenigen dem FKK, die es sich auch optisch leisten können. Anderen nahe kommen In anderer Beziehung dagegen scheine ich ausgesprochen typisch deutsch zu sein, nämlich, was Berührungen angeht. Schon in England ist Händeschütteln nur dann üblich, wenn man sich einander vorstellt. In den USA gibt man selbst dann als Mann den Frauen nicht die Hand, es

49 Schlangestehen ist nicht so unsers. Wasser ohne höchstens zum Wein sei denn, sie strecken einem die Hand entgegen. Auch habe ich es erlebt, dass meine englischen Bekannten kurz zusammenzuckten, wenn ich sie beim Reden kurz angestoßen haben oder ihnen die Hand auf den Arm oder die Schulter gelegt habe. Das ist einfach nicht üblich. In Asien, genauer gesagt im Fernen Osten, hat man es mit den Berührungen noch weniger. Wer sich verbeugt (eine Kunst herauszufinden, wer sich vor wem wie tief zu verbeugen hat), hält Abstand. Nur für Fotos vor Sehenswürdigkeiten – werden überhaupt andere Fotos gemacht? – rückt man sich näher auf die Pelle. Im arabischen Raum dagegen darf man sich unter Männern durchaus berühren. Keine Seltenheit, dass heterosexuelle Männer Hand in Hand spazieren gehen. Jammern über Unpünktlichkeit Ich glaube, im Jammern sind wir ziemlich Weltspitze. Das hängt bestimmt auch mit unserer Erwartungshaltung zusammen. Wir erwarten einfach nicht, dass der Zug zu spät kommt. Passiert das doch, jammern wir. Oder wir beschweren uns. Schon im Süden Europas regen kleine Verspätungen niemanden auf. In anderen Ländern der Welt ist eine Stunde oder mehr noch gar nichts. Entsprechend gelassen reagieren die Leute. Auch führt die eigene Pünktlichkeit dazu, dass man Unpünktlichkeit als Missachtung empfindet und entsprechend reagiert. Wer in Südamerika tatsächlich um acht Uhr auf der Matte steht, wenn er für acht Uhr eingeladen ist, der macht sich richtig unbeliebt. Wer etwas zu früh ist, wird die Gastgeberin vermutlich in Lockenwicklern erleben. Auch über andere Jammeranlässe können andere Nationen oft nur lächeln. Als wir uns einmal griechischen Freunden gegenüber über die Bürokratie in Deutschland beschwerten, konnten diese nur lachen. Das ist überhaupt nichts, sagten sie. In Griechenland ist die Bürokratie byzantinisch. Die ersten Tage und Wochen sind schon verstrichen, ehe du weißt, wer überhaupt zuständig ist. Und dann musst du traditionell auch noch wissen, wer welche Zuwendung erwartet. Aber das ist Jahre her, bestimmt ist heute alles besser… Ungeduld Eine klassisch deutsche Eigenschaft scheint auch mangelnde Geduld zu sein. Während in England gelegentlich Zeit verloren wird, weil sich die Leute, die geduldig in der Schlange gestanden haben, auch noch den Vortritt lassen, müssen bei uns zum Teil sogar beim Bäcker oder in der Pommesbude Nummern ausgegeben werden, damit niemand vordrängelt. Im Vereinten Königreich gibt es wohl nur eine Ausnahme von der Schlangesteh-Regel, nämlich den Pub. Vielleicht weil der so schnell schließt, wird da nicht Schlange gestanden, sondern zum Zapfhahn gedrängelt. Selbst in Spanien oder Frankreich wird es nicht als Zumutung empfunden, wenn man für den Platz im Restaurant anstehen muss. Wenn man dann auch noch ein Plätzchen hat, wo der Aperitif genommen werden kann, dann regt sich sowieso schon niemand mehr auf. Apropos Restaurant. Offenbar werden wir auch belächelt dafür, dass unser Mineralwasser immer mit Kohlensäure sein muss. Das Leitungswasser, das in Frankreich automatisch auf den Tisch kommt – oder zumindest traditioneller Weise kam - ist für den teutonischen Geschmack vielfach nicht gut genug. Das mit dem Wassertrinken kann ich ja noch nachvollziehen, aber ich erinnere mich daran, dass englische Bekannte aus Gütersloh sich ausgiebigst über die deutsche Manie des Mülltrennens lustig gemacht haben. Doch da konnte ich nicht so richtig mitlachen, denn anders als das frühmorgens-Liegen-am- Pool-mit-Handtuch-Reservieren finde ich Mülltrennung keine Macke. Da scheine ich wohl sehr deutsch zu sein.

Das Stadtgespräch - Magazin für Rheda - Wiedenbrück

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